Am 19. Januar 2022 hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit seinem Urteil (Az.: 5 AZR 346/21) wesentliche Leitlinien zum Thema Annahmeverzug und Leistungswille des Arbeitnehmers festgelegt. Die Entscheidung hat weitreichende Implikationen für Arbeitnehmer, insbesondere bei der Ablehnung von sogenannten Prozessbeschäftigungen, also vorübergehenden Arbeitsangeboten während eines laufenden Kündigungsschutzverfahrens. Dieser Artikel beleuchtet die wichtigsten Aspekte der Entscheidung und zeigt auf, worauf Arbeitnehmer in vergleichbaren Situationen achten sollten.
Annahmeverzug und Leistungswille – Grundlegende Konzepte
Wenn ein Arbeitnehmer nach einer unwirksamen Kündigung nicht beschäftigt wird, befindet sich der Arbeitgeber im sogenannten Annahmeverzug. Das bedeutet, der Arbeitnehmer hat weiterhin Anspruch auf Vergütung, ohne seine Arbeitskraft anbieten zu müssen. Eine entscheidende Voraussetzung dafür ist jedoch, dass der Arbeitnehmer arbeitswillig und leistungsfähig ist (§ 615 Satz 1 BGB). Ein fehlender Leistungswille kann den Anspruch auf Annahmeverzugslohn ausschließen.
Der Leistungswille des Arbeitnehmers steht dabei oft im Fokus, besonders wenn der Arbeitgeber eine sogenannte Prozessbeschäftigung anbietet, die nicht der ursprünglich vertraglich vereinbarten Tätigkeit entspricht. In solchen Fällen muss der Arbeitnehmer prüfen, ob die angebotene Arbeit zumutbar ist, da eine unberechtigte Ablehnung den Annahmeverzug und damit den Gehaltsanspruch beenden kann.
Fallbeispiel: Die Entscheidung des BAG im Detail
Sachverhalt
Die Klägerin war seit 2016 als Marketing- und Projektmanagerin bei einem Cateringunternehmen beschäftigt. Nachdem ihr das Unternehmen mehrfach aus betriebsbedingten Gründen gekündigt hatte, klagte sie auf Kündigungsschutz und machte Annahmeverzugslohn geltend. Der Arbeitgeber bot ihr während des laufenden Kündigungsschutzverfahrens eine Prozessbeschäftigung als Servicekraft und später als Frühstückskraft/Zimmermädchen an. Beide Angebote lehnte die Klägerin mit der Begründung ab, sie sei nicht verpflichtet, eine schlechter bezahlte und nicht ihrer Qualifikation entsprechende Arbeit anzunehmen.
Argumente der Parteien
- Arbeitnehmer (Klägerin): Die Klägerin argumentierte, dass sie nur bereit sei, ihre vertraglich vereinbarte Tätigkeit als Marketing- und Projektmanagerin auszuüben. Die Prozessbeschäftigung als Servicekraft oder Zimmermädchen sei ihr nicht zumutbar. Sie betonte, dass ihr Leistungswille stets auf ihre ursprüngliche Position ausgerichtet war.
- Arbeitgeber (Beklagte): Der Arbeitgeber vertrat die Auffassung, dass die angebotene Prozessbeschäftigung zumutbar war und die Klägerin durch ihre Ablehnung ihren Anspruch auf Annahmeverzugslohn verlor. Außerdem war die Klägerin im Kündigungsschutzverfahren bereit, eine Änderungskündigung für eine ähnliche Tätigkeit zu akzeptieren, was die Ablehnung der Prozessbeschäftigung widersprüchlich mache.
Entscheidung des BAG
Das BAG entschied, dass der Annahmeverzug des Arbeitgebers bis zum 10. Dezember 2018 fortbestand, da die Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt als leistungswillig galt. Ab dem 11. Dezember 2018 schloss das Gericht jedoch den Annahmeverzug aus, da die Klägerin ab diesem Zeitpunkt nicht mehr leistungswillig war.
Die zentrale Erwägung des BAG war, dass der Arbeitnehmer während des gesamten Zeitraums des Annahmeverzugs leistungswillig sein muss. Durch die Ablehnung der Prozessbeschäftigung, obwohl diese keine dauerhafte Änderung der Arbeitsbedingungen nach sich gezogen hätte, habe die Klägerin ihren Leistungswillen nicht ausreichend gezeigt. Die Arbeitnehmerin hatte am 5. Dezember Ihre Arbeitskraft unter Bezugnahme auf die titulierte Weiterbeschäftigung angeboten und dann mit Schreiben vom 10. Dezember 2018 ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht. Das Zurückbehaltungsrecht sei unwirksam geltend gemacht worden. Aufgrund dieser Geschehnisse sei jedoch davon auszugehen, dass die Arbeitnehmerin nicht leistungswillig gewesen sei.
Praktische Tipps für Arbeitnehmer
Auf Grundlage der BAG-Entscheidung sollten Arbeitnehmer, die sich in einer ähnlichen Situation befinden, folgende Punkte beachten:
- Prozessbeschäftigung genau prüfen: Arbeitnehmer sollten ein vorübergehendes Arbeitsangebot im Rahmen einer Prozessbeschäftigung gründlich prüfen. Eine Ablehnung sollte gut bedacht sein, da sie den Anspruch auf Annahmeverzugslohn gefährden können.
- Leistungswille dokumentieren: Es ist entscheidend, den eigenen Leistungswillen kontinuierlich zu belegen. Dies kann durch die Annahme einer zumutbaren Prozessbeschäftigung oder durch klare Kommunikation mit dem Arbeitgeber geschehen.
- Unterschiede zwischen Vertrags- und Prozessbeschäftigungen verstehen: Eine Prozessbeschäftigung muss nicht den ursprünglichen Arbeitsbedingungen entsprechen, kann aber dennoch als zumutbar gelten. Arbeitnehmer sollten sich der rechtlichen Unterschiede bewusst sein, um Nachteile zu vermeiden.
- Rechtliche Beratung in Anspruch nehmen: Wenn Unsicherheiten bestehen, ob eine angebotene Tätigkeit zumutbar ist oder ob eine Ablehnung gerechtfertigt werden kann, sollten Arbeitnehmer rechtlichen Rat einholen, um keine finanziellen Einbußen zu erleiden.
Fazit
Das Urteil des BAG vom 19. Januar 2022 zeigt deutlich, dass Arbeitnehmer vorsichtig sein sollten, wenn sie Prozessbeschäftigungen ablehnen. Ein durchgängiger Leistungswille ist Voraussetzung für den Anspruch auf Annahmeverzugslohn. Arbeitnehmer sollten sicherstellen, dass sie ihre Bereitschaft zur Arbeit klar dokumentieren und sich im Zweifel rechtlich beraten lassen. Die sorgfältige Prüfung und Abwägung einer angebotenen Prozessbeschäftigung ist dabei von zentraler Bedeutung, um rechtliche und finanzielle Nachteile zu vermeiden.
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Rechtsanwalt, Fachanwalt für Arbeitsrecht
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Wirtschaftsmediator Eucon/Universität Bielefeld
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